ottonische Kunst

ottonische Kunst
ottonische Kunst,
 
die Kunst im Zeitalter der Ottonen (um 960-1024). Die unter den Saliern bis zum Regierungsantritt Heinrichs IV. (1056) entstandenen Werke werden als spätottonisch angeschlossen. Im Gegensatz zur vorausgehenden karolingischen Kunst befreite sich die ottonische Kunst zunehmend von der spätantiken Tradition und steht damit am Beginn einer eigentlichen deutschen Kunst. Nach der Heirat Ottos II. mit der byzantinischen Prinzessin Theophano wurden byzantinische Einflüsse wirksam. Die Eingliederung des Episkopats in die Reichsverwaltung durch Otto I. führte zu einer Einheit politischer und religiöser Zielsetzungen und erschloss eine Schicht gleich gesinnter Mäzene. Die künstlerischen Schwerpunkte lagen im kaiserlichen Stammland Sachsen mit Magdeburg. Hinzu kamen weitere Zentren: Köln, Essen, Fulda, Regensburg, Reichenau, Trier und Hildesheim, das unter Bischof Bernward eine besondere Blüte erfuhr. Die ottonische Kunst ist stilgeschichtlich Teil der Romanik in Europa und bezeichnet die Frühromanik in Deutschland.
 
In der Baukunst entstand ein für die deutsche Architektur bis zur Gotik verbindlicher Kirchentypus: die kreuzförmige, dreischiffige Basilika mit zwei Querschiffen, zwei ausgeschiedenen Vierungen mit Türmen, zwei Chören und mit Stützenwechsel nach dem gebundenen System im Langhaus. Den Kirchen ist häufig ein Westbau vorgelagert, der von Treppentürmen flankiert sein kann. Charakteristisch sind ungegliederte Wandflächen, die in der Regel mit Wandmalereien bedeckt waren, und flache Holzdecken. Als neue Kapitellformen traten Würfel-, Trapez- und Pilzkapitell auf. Einen Eindruck von der ottonischen Baukunst geben Sankt Pantaleon in Köln (953 ff.), Sankt Michael in Hildesheim (1010-33), Sankt Lucius in Essen-Werden (1063 geweiht), das Westwerk und die Krypta des Münsters in Essen (1039 ff.), Sankt Maria im Kapitol in Köln (1065 geweiht), Sankt Gertrud in Nivelles (1046 geweiht) und die ehemalige Abteikirche in Ottmarsheim (vor 1049). Das am besten erhaltene Zeugnis, die ehemalige Frauenstiftskirche in Gernrode (961 ff.), bildet als Emporenbasilika eine Ausnahme und entstand unter byzantinischem Einfluss. Dieser zeigt sich auch in der Bartholomäuskapelle (um 1017) in Paderborn, der ersten Hallenkirche in Deutschland.
 
Auch in der Bildhauerkunst verlor sich der enge Anschluss an antike Vorlagen. Es entstanden die ersten selbstständigen Kultbilder aus Holz wie das Gerokreuz und die mit Goldblech beschlagene Goldene Madonna des Essener Münsterschatzes (um 980). Kirchenportale wurden mit erzählenden Reliefs (Szenen aus dem Alten Testament und Neuen Testament) geschmückt und sowohl in Bronze gegossen (Bernwardstür für Sankt Michael in Hildesheim, 1015; heute im Dom) als auch in Holz gefertigt (Türen von Sankt Maria im Kapitol in Köln, um 1049). Elfenbeinschnitzereien für Reliquienkästen, Buchdeckel, Antependien u. a. entstanden v. a. in den Klöstern auf der Reichenau, von Trier, Lüttich, Metz (»Himmelfahrt Christi«, um 980; Wien, Kunsthistorisches Museum) und Echternach (Buchdeckel des Codex aureus, 985-991; Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum). Sie knüpften an karolingische Vorbilder an, nahmen aber auch byzantinische Anregungen auf. Eine außerordentliche Lebendigkeit der Gebärdensprache kennzeichnet nicht nur die Bronze- und Elfenbeinreliefs, sondern auch die Reliefs der Goldschmiedekunst, die v. a. Szenen aus dem Leben Jesu und die Maiestas Domini darstellen. Goldschmiedearbeiten wurden besonders in Köln, Trier, Aachen, Regensburg, Essen und Hildesheim gefertigt. Zu den hochrangigen Werken gehören das Antependium aus dem Basler Münster (um 1020; Paris, Musée de Cluny), der von Heinrich II. gestiftete Ambo und die Pala d'Oro (um 1000) im Aachener Münster sowie das Reichskreuz (um 1024; Wien, Kunsthistorisches Museum).
 
Wichtigstes Zeugnis ottonischer Malerei ist die Buchmalerei, die in ihrer Vergeistigung und Neigung zur Monumentalität wesentlich von der Aussagekraft der Gebärde und dem Verzicht auf Ornamentalisierung bestimmt ist. Neben der Reichenauer Malerschule waren die Skriptorien in Trier (Gregormeister), Echternach (Codex aureus, um 1020-30), Regensburg (Uta-Evangeliar, um 1000-1020; München, Bayerische Staatsbibliothek), Köln (Hitdaevangeliar, um 1020; Darmstadt, Hessische Landes- und Hochschulbibliothek), Fulda (Codex Wittekindeus, um 970/980; Berlin, Deutsche Staatsbibliothek) und Hildesheim (Evangeliar des heiligen Bernward, 1011; Hildesheim, Dom) von besonderer Bedeutung. Ein Beispiel ottonischer Wandmalerei ist erhalten in Sankt Georg in Oberzell auf der Reichenau in großen Fragmenten (um 990), die stilistisch und thematisch in engem Zusammenhang mit der Buchmalerei stehen.
 
 
R. Wesenberg: Bernwardin. Plastik. Zur o. K. unter Bernward von Hildesheim (1955);
 
Die Zeit der Ottonen u. Salier, bearb. v. L. Grodecki u. a. (a. d. Frz., 1973);
 H. Hoffmann: Buchkunst u. Königtum im otton. u. frühsal. Reich, 2 Tle. (1986);
 H. Jantzen: O. K. (Neuausg. 1990);
 H. Mayr-Harting: Otton. Buchmalerei (a. d. Engl., 1991);
 C. Höhl: Otton. Buchmalerei in Prüm (1996).
 
Weitere Literatur: Romanik.

Universal-Lexikon. 2012.

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